Interview mit Ferat Koçak – Teil 1

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„Kapitalismus braucht Rassismus“

Über Ferat Koçak
Ausgeübte Tätigkeit: Marketing & Public Relations Specialist
Berufliche Qualifikation: Diplom Volkswirt
Wohnort: Berlin Neukölln
Geburtsjahr: 1979
Aktuelles Mandat: Abgeordneter Berlin 2021 - 2026, Fraktion: DIE LINKE
Eingezogen über die Wahlliste: Landesliste
Mehr Infos: abgeordnetenwatch.de/profile/ferat-kocak

Unsere erste Frage ist, was Ihre Aufgaben als Abgeordneter des Berliner

Abgeordnetenhauses überhaupt sind?

Ich bin Sprecher für antifaschistische Politik und Sprecher für Klimapolitik. Und meine persönliche Aufgabe ist, zu beobachten, wie sich der Rassismus in dieser Stadt entwickelt, wie wir antirassistische Initiativen stärken können, aber auch, wie sich rechte Strukturen, menschenverachtende Gedanken und Diskriminierung ob in Behörden, Parlamenten oder auf den Straßen breitmachen und was wir dagegen auf parlamentarischer Ebene und auf der Straße machen. Denn es ist wichtig, dass wir menschenverachtendem Gedankengut rechtzeitig entgegentreten.

Du hattest ja ein bewegtes Leben, auch mit Schicksalsschlägen. Wieso hat Dich das in die Politik geführt und nicht zum Beispiel in eine radikale Bewegung, die auf der Straße demonstriert?

Ich würde sagen, ich bin schon ein Bindeglied zu den Bewegungen auf der Straße. Ich bin ein Aktivist seit dem sechzehnten Lebensjahr und kämpfe gegen Rassismus, gegen Krieg und Nazis. Aber nach dem Anschlag auf meine Familie und mich im Jahr 2018 hat sich das alles noch ein Stück verschärft. Ich habe den Anschlag nur knapp überlebt.

Wurdest Du auch ernster genommen, dadurch, dass Du sowas erlebt hast?

Meine Stimme wurde gehört und dadurch, dass sie gehört wurde, wurde sie auch ernst genommen. Wichtig war für mich, dass ich deshalb in diesem Raum, den ich hatte, auch anderen Stimmen die Möglichkeit gebe, gehört zu werden, also anderen Communities. Die Roma-Community beispielsweise, die von Rassismus betroffen ist, Menschen, die von Antisemitismus betroffen sind und schwarze sowie asiatische Menschen.

Wieso bist Du bei der Linken?

Ich bin bei der Linken, weil ich grundsätzliche Kritik an unserem Wirtschaftssystem habe und zwar an dem sogenannten Kapitalismus, der Mensch, Tier und Natur ausbeutet für die Profite einiger weniger und in diesem ist Rassismus systemrelevant. Denn der Kapitalismus braucht Rassismus, um Menschen in mehr und weniger wertvoll kategorisieren zu können und ich bin grundlegend für die Veränderung dieses Systems, also sozusagen eine Demokratisierung des Wirtschaftssystems, indem Menschen, Tiere und die Natur nicht mehr ausgebeutet werden. Und wir sehen ja mit der Klimakrise, wie es vorangeht, wenn wir uns nur an der Wirtschaft orientieren. Und deshalb ist es wichtig, dass wir davon wegkommen. Und das ist auch eine ganz grundsätzliche Systemkritik. Die ist nur in der Linkspartei vorhanden.

Außerdem bin ich einer derjenigen, die aufgrund dieser Systemkritik auch nicht gern gesehen werden. Ich habe immer gesagt: Ich bin als Aktivist ins Parlament eingezogen und werde die Forderungen der Aktivist*innen hier stark machen, egal, was für Steine mir in den Weg gelegt werden. Dabei geht es darum, erst einmal die Stimmen, die es draußen gibt, reinzutragen und sie auch dort der Öffentlichkeit zu präsentieren. Als Abgeordneter werde ich nun mal mehr gehört. Ich habe an anderen Orten die Möglichkeit, meine Stimme einzubringen und das versuche ich gerade. Das ist aber nicht unbedingt so einfach, weil viele Politiker*innen einfach ihr Ding durchziehen. Und ich sage ihnen in diese Richtung dürfen wir nicht mehr laufen, wir müssen eine andere Richtung einschlagen.

Du hältst ja sehr unterhaltsame Reden, hast du das irgendwie gelernt oder geübt?

Also ich habe nach dem Anschlag angefangen, viele Reden zu schreiben, weil ich über alles reden musste und habe gemerkt, dass viele Leute Reden frei halten über Antisemitismus. Ich kriege das nicht hin. Wenn ich anfange, frei zu reden, dann geht mir so viel durch den Kopf, dass ich durcheinanderkomme und dann fehlt mir der rote Faden. Ich halte meine Reden so wie ich sie aufgeschrieben habe. Ich übe sie ein paar Mal, sodass es fließend rüberkommt. Also ich versuche, keine komplizierten Sätze draus zu machen, sondern ich rede mit sehr einfachen Worten. Und so schreibe ich halt auch Reden, sodass es so authentisch rüber kommt wie möglich. Es macht keinen Sinn, mir zu sagen ich muss jetzt schreiben wie Goethe oder wie, irgendein Professor Schießmichtot, der dann voll die Schachtelsätze hat, das versteht keiner.

Gibt es bestimmte Themen, bei denen Du mit dem Rest der Partei uneinig bist?

Ich bin uneinig bei dem Thema Polizei und Polizeigewalt. Ob man die Polizei reformieren kann. Ich habe eine antirassistische Perspektive und bin dafür, dass wir beim Thema Polizei dahin kommen müssen, dass wir nicht immer mehr in die Polizei investieren, sondern stattdessen in die Lösung der sozialen Probleme von Kriminalität.

In welcher Partei wärst Du, würde es die Linke nicht geben?

In der Urbanen, eine Hip-Hop-Partei. Es ist eine Kleinstpartei mit sehr vielen Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Und ansonsten bin auch in sehr vielen Punkten mit den Grünen „Safe“, außer bei dem Punkt der grundlegenden Systemkritik

Social Media Accounts von Ferat Koçak: @der_neukoellner

Der Artikel wurde von Ben Frach geschrieben