In Leinemasch im Süden von Hannover wird seit Dezember 2022 eine Schnellstraße aufgebaut. Die Straße soll von 14,50 auf 26,50 Meter verbreitert werden, was Baumrodungen erfordert. Klimaaktivisten, die das Projekt für falsch halten, haben das Protestcamp „Barrio Tümpeltown“ gegründet. In Kooperation mit Leinemasch BLEIBT (LmB) haben in März 2022 Hunderte von Aktivist*innen das Gebiet besetzt. Viele von ihnen haben mehrere Monate vor Ort gelebt. Am 15. Januar 2024 hat die Polizei das Gelände geräumt und dabei die Baumhäuser und Seilkonstruktionen abgebaut. Dabei wurden 38 Menschen in Gewahrsam genommen. Die Penny Lane hat zwei dieser Aktivist*innen interviewt und sie nach ihrem Alltag im Barrio Tümpeltown, sowie zu ihren Motivationen und Vorstellungen gefragt.
Wie kam es zu der Entscheidung der Besetzung? Wie ist die Idee entstanden?
Quadrat (keine Pronomen oder mensch–Pronomen): Die Besetzung ist am 30. November 2020 offenbart worden, zu der Entscheidung kam es, nachdem es davor Proteste gab, beispielsweise von Leinemasch Bleibt. Es wurde demonstriert, Petitionen gemacht und mit Politiker*innen gesprochen. All das hat dazu geführt, dass das ein Thema war. Aber es hat nicht dazu geführt, dass der Ausbau irgendwie gestoppt wurde. Dementsprechend hat dann die Ende Gelände Ortsgruppe Hannover die Besetzung gestartet. Einfach, weil die ganzen anderen Protestformen nicht zu einem effektiven Aufhalten geführt haben.
Hättet ihr von Anfang, von Anfang an erwartet, dass die Besetzung über ein Jahr anhält?
Quadrat: Nein, die Erwartung war die, dass sie einfach für ein paar Tage da ist und dann schnell klein gemacht wird. Allerdings hat Olaf Lies, zusammen mit Eric Oehlmann, dem Chef der Landesstraßenbaubehörde, dann eher die Schiene gefahren, In Gespräche zu gehen, allerdings Gespräche, die nicht darauf ausgerichtet waren, dass sie zu irgendetwas führen, sondern die Laberrunden, wo die Besetzer*innen auch nicht beteiligt waren. Dementsprechend waren die 1,5 Jahre Besetzung nicht die Erwartungshaltung und Tümpeltown ist sehr stolz darauf, dass es so lange gedauert hat.
Wie habt ihr gewohnt?
Belgrad (sie-Pronomen): Für die Zeit, bis das erste Baumhaus stand, haben wir mit Zelten angefangen. Seitdem sind verschiedene Baumhäuser entstanden, von Holzpaletten in den Bäumen mit einer Plane drüber, bis hin zu wirklich massiven Bauten, die dann auch isoliert wurden und so weiter.
Quadrat: Es waren am Ende über zehn Baumhäuser und dann noch unsere Bodenstruktur, der „Dachboden“. Außerdem waren überall Tags mit coolen Sprüchen.
Wie habt ihr euch zwischen den Baumhäusern bewegt?
Quadrat: Wir hatten einen Traversensystem aus Walkways, also jeweils zwei Seile, die zwischen einzelnen Bäumen oder Baumhäusern gespannt sind. Die sind dann mit der Zeit gewachsen. Am Anfang war das eher so, dass du auch mal hoch und runter musstest, um irgendwohin zu gehen, aber am Ende konntest du eigentlich über die Walkways überall hingehen.
Belgrad: Das war auch sehr wichtig, weil im Fall der Räumung am Boden Polizist*innen sind und du so nicht gezwungen warst den Boden zu betreten, das gesamte was du zum Leben brauchst hatte es in den Bäumen.
Wie habt ihr Strom und Wasser bekommen?
Belgrad: Es gab einen kleinen Bach durch Tümpeltown durch, den haben wir Süßwasser getauft. Aber ansonsten wurde Wasser mit Kanistern und von solidarischen Menschen hergebracht. Oder von Orten, die nicht gemerkt haben, dass sie Wasser verloren haben. Strom hatten wir durch eine Solaranlage und zwischenzeitlich auch durch einen Benzin Generator. Aber letztendlich haben wir Strom eigentlich auch nur für Handys und Funkgeräte gebraucht.
Quadrat: Dabei sieht man, dass der Ort nicht nur von den Menschen, die vor Ort waren, getragen wurde, sondern auch von den Menschen, die es von außen unterstützt haben. Tümpeltown bestand auch aus unterschiedlichen Personen und Gruppen, die außerhalb standen und unterschiedlich geholfen haben. Das ist eine sehr schöne Form von Zusammenhalt und zeigt gut, dass unser Protest verschiedene Stufen von Radikalität und Aktivismusformen zusammenbringt.
Abgesehen von dem Zweck der Besetzung, hatte das Leben im Tümpeltown auch Vorteile?
Belgrad: Klar ist es anstrengend, Kanister zu schleppen und bei -10 Grad draußen zu sein. Aber gleichzeitig hat dieser Ort unglaublich viel gegeben. Es war ein Leben abseits der Mehrheitsgesellschaft. Jeder konnte so sein, wie er halt ist. Das hat den Raum gegeben, um viele Dinge auszuprobieren. In Gegensatz zu einer klassischen Familie, wo dir immer gesagt wird, wo es langgeht, war hier alles selbstorganisiert und hierarchiefrei. Das hat natürlich eigene Schwierigkeiten mit sich gebracht, weil jeder komplett für sich alleine verantwortlich war, aber das gibt einem auch Freiraum. Du konntest einfach Holz und Werkzeug nehmen und irgendwas bauen, was nicht unbedingt Sinn ergeben musste. So etwas ist wertvoll für die persönliche Entfaltung sowie für die Gesellschaft. Einfach ausprobieren : Wie geht es denn anders? Das hat dazu geführt, dass die Leute bei Skills wie Klettern voneinander gelernt haben. Wie eine komplett chaotische WG, eine schöne zusammengewürfelte Familie. Natürlich gab es Widersprüche, aber der Widerstand hielt das Ganze zusammen.
Quadrat: Unter anderem für queere Menschen war es besonders wichtig, dass Tümpeltown ein Safer Space war. Auch für Menschen, die zum Beispiel wohnungslos waren oder psychisch nicht der Norm von der Gesellschaft entsprachen. Sie hatten hier ein Zuhause und eine Community. Viele wurden irgendwie aufgefangen und haben Fähigkeiten erhalten, die sie in der Gesellschaft ein Stück weit besser bestehen lassen. Und ich glaube, alleine dafür war es super wichtig.
Belgrad: Darüber hinaus war es natürlich auch einfach kostenloser Wohnraum in der Stadt. Und wo hat man das? Das war gerade für die Leute, die sonst gar keinen Wohnraum hatten oder wo die Verhältnisse zuhause so schlecht waren, dass es kein Zuhause war, absolut Gold wert. Und auch wenn das natürlich mitunter ein anstrengenderes Leben ist, als in einer normalen Wohnung zu wohnen, hat man dadurch auch so ein bisschen gemerkt was man wirklich braucht und was eigentlich nur Firlefanz ist.
Was habt ihr am meisten vermisst während der Besetzung?
Belgrad: Für mich persönlich war es, dass du so ein Stück weit in einer anderen Welt lebst und ein bisschen den Kontakt zu den Menschen verlierst die nicht in dieser Welt leben. Dieser Wald war zu der Zeit auch mein gesamtes soziales Umfeld und ich hatte zwar auch andere Friends in der Stadt, aber es war aus verschiedenen Gründen nicht deren way to go, in den Wald zu gehen. Auch wenn diese Menschen in derselben Stadt teilweise nur gefühlt ein paar Meter weiter gewohnt haben, habe ich sie dann monatelang gar nicht mehr gesehen. Außerdem hat der Mangel an Strom ein bisschen dafür gesorgt, dass wir nicht so viel Mucke hatten. Das war schade.
Habt ihr aus eurer Sicht verloren und würdet ihr es wieder tun?
Belgrad: Ich denke, das ist ein generelles Problem an Aktivismus auch gerade an dieser Form von Aktivismus, dass dieser Erfolg nicht so wirklich gut messbar ist. Also zum Beispiel ist es ja ein Erfolg, wenn wir jetzt Menschen politisiert haben, die sich mit Sachen auseinandersetzen und so weiter. Aber das siehst du ja im Regelfall gar nicht so wirklich. Menschen kommen vorbei, machen einen Skillshare mit oder was auch immer und gehen wieder nach Hause. Und du weißt nicht, ob die Menschen das jetzt berührt hat oder zum Denken angeregt hat oder ob sie denken „Boah, was sind das denn für Vollidioten“ Aber ich finde, aus der Perspektive, dass es relativ klar war, dass geräumt und gerodet wird und dass es eine symbolische Aktionsform ist, wir mehr Erfolg hatten, als erwartet. Wir haben ja nicht gar nicht die Mittel, uns der Gewalt der Polizei irgendwie entgegenzustellen. Was wir aber auf dem Weg erreicht haben, ist den finanziellen und politischen Preis für solche Bauprojekte in die Höhe zu treiben. Ich glaube, Waldbesetzung darf man nicht allein als politische Aktion betrachten, sondern viel mehr auch ein Lifestyle. Die Besetzung ist dann für eine Zeit dein Leben und dementsprechend kannst auch keine anderen Sachen machen. Darauf musst du Lust haben. Ob wir verloren haben und ob ich es wieder tun würde sind also zwei verschiedene Fragen. Für mich persönlich weiß ich nicht, ob ich das so wieder machen würde, oder ob ich eher andere Aktionsformen wählen würde.
Quadrat: Ich würde nicht sagen, dass wir verloren haben, einfach weil wir anderthalb Jahre lang uns diesen Ort nehmen konnten und zeigen konnten, was es bedeutet, gegen etwas zu kämpfen und was daraus entstehen kann. Das Ziel war gar nicht den Straßenausbau aufzuhalten oder irgendwelche Politiker zum Umdenken zu bewegen, weil das nicht die Zielgruppe und nicht unsere Absicht ist, auch wenn manche Leute das denken. Es geht mehr darum, wir nehmen uns Raum, um Menschen zu empowern. Ich glaube, aus dem Grund würde ich es wieder tun, aber nicht aus dem Grund den Straßenausbau in Deutschland zu stoppen. Außerdem würde ich nicht alles genauso machen, einfach weil manche Dinge nicht gut gelaufen sind.
Welche juristischen Konsequenzen gab es?
Belgrad: Das weiß man noch nicht. Die meisten Menschen haben verweigert, ihre Identität anzugeben und waren nicht zu identifizieren (Gesicht angemalt etc.). Falls die Polizist*innen doch noch eine Person identifizieren und Anzeige erstatten, dauert das Verfahren noch ca. zwei Jahren. Die meisten Vorwürfe sind aber sowieso nur Hausfriedensbruch.
Quadrat : Ob all diese Vorwürfe an sich überhaupt rechtlich taugen, muss auch noch geprüft werden.
Belgrad: In dem Bereich spielt auch Solidarität eine wichtige Rolle. Bei Ordnungswidrigkeiten und vielen Straftaten zählt halt eigentlich nur Geld. Wenn jemand Bußgelder zahlen musste, haben wir immer aus Spenden Geld gesammelt. Die betroffene Person bekommt ja für die gesamte Gruppe Ärger, also wird sie von der gesamten Gruppe unterstützt. Aber nicht nur mit Geld und Anwält*innen haben wir uns gegenseitig unterstützt, sondern auch indem wir immer füreinander da waren. So eine Räumung ist nämlich psychisch und emotional nicht ohne.
Quadrat: Der Staat und die Polizei versuchen durch Repressionen irgendwie den Protest gegen die kapitalistische Politik, welche uns in die Klimakrise gebracht hat, klein zu machen.
Hattet ihr auch von Leuten in Hannover Unterstützung, die nicht Teil der linken Szene sind?
Quadrat: Ja, schon. Es haben uns auch Leute unterstützt, die sich am Anfang nicht unbedingt politisch positionieren wollten. Viele haben dann aber bemerkt, dass es hier um mehr als nur ein Naherholungsgebiet, sondern um Klimagerechtigkeit geht.
Belgrad: Ja, der Gesamtprotest hat sich auf einer sehr breiten politischen Spannbreite bewegt, also von Bürger*innen, denen das Naherholungsgebiet zum Gassi gehen wichtig ist, bis hin zu so linksradikale Zecken wie uns.
Quadrat: Jeden Tag besorgten manche Einwohner extra für uns Sachen wie Ingwer-Tee mit Hafermilch oder Bio-Vollkornbrot. Dadurch zeigten sie, dass unsere Aktion ihnen wichtig war. Das hat mich echt berührt.
Belgrad: Hast du Spaten gebraucht, lagen am nächsten Tag fünf Spaten da. Wir haben nach Unterstützung gefragt und haben sie auch erhalten. Wir waren nicht alleine.