Außergewöhnliche Berufe: Bildhauer und Restaurator

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Die Penny Lane Redaktion – Leonard El-Ishmawi, Moritz Minkwitz und Marlene Milius – war in der Lehderstraße Weissensee im Atelier RAO (Restaurierung am Oberbaum) und haben Thomas Lucker, einen der zwei Geschäftsführer, zu seinen Berufe interviewt: als Restaurator und als Bildhauer.

Penny Lane: Was ist Ihr Beruf?
T. Lucker: Ich habe tatsächlich zwei Berufe. Ich bin Bildhauer und Restaurator und versuche, diese beiden Berufe unter einen Hut zu bringen. Als Restaurator habe ich eine kleine Firma mit einem Kompagnon zusammen. Wir arbeiten an archäologischen Stätten mit ArchäologInnen zusammen, und wir kümmern uns um historische Gebäude.

Penny Lane: Was denken die Leute von Ihrem Beruf?
T. Lucker: Im Allgemeinen sind die Leute sehr interessiert daran und wollen sofort mehr dazu wissen – sowohl zu der freien Kunst, als auch zum Bereich Restaurierung.

Penny Lane: Wie würde ein typischer Arbeitstag für Sie aussehen?
T. Lucker: Es geht darum, dass wir die physischen Zeugnisse vergangener Zeiten bewahren. Wie kann man den Alterungs- und Zerfallsprozess eines historischen Gebäude aufhalten? Man gräbt etwas aus, was 2.000 Jahre alt und der Witterung preisgegeben ist. Was kann man tun, um diesen Zerstörungsprozess aufzuhalten? Tatsächlich ist mein Arbeitsalltag vergleichbar mit dem von Architekt*innen: Ich restaurieren nicht mehr selbst, sondern plane Restaurierungsprojekte. Ich entwickle die Konzeptionen dafür und betreue die Firmen, die sie umsetzen. Ich sitze also relativ viel am Rechner oder in Konferenzen und bin auch viel unterwegs. Wir haben internationale Projekte, sind seit über 20 Jahren regelmäßig im Sudan, was zurzeit aufgrund des Krieges schwierig ist. Ich war über lange Zeit regelmäßig in Istanbul. Vor dem 7. Oktober 2023 war ich in viel in Israel.
Mein anderer „Alltag“ ist die Steinbildhauerei, die ich mit Fotografie verbinde. In der Bildhauerwerkstatt haben wir eine Dunkelkammer, wo ich meine Steine beleuchte, sodass es am Ende eine Verbindung aus Skulptur und Foto entsteht. Meistens mache ich fast jeden Tag beides.

Penny Lane: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Berufe zu machen?
T. Lucker: Tatsächlich ist es mein Kindheitstraum gewesen, Archäologe zu werden. Als ich dann ein bisschen älter wurde, wollte ich eigentlich gerne Künstler werden. Ich bin nach Hannover gezogen, um eine Ausbildung als Steinmetz und Steinbildhauer zu machen. Danach wollte ich Malerei studieren, war aber so begeistert von der Steinarbeit, dass ich dabeigeblieben bin. Durch diese Arbeit als Restaurator bin ich dann mit den Museen zusammengekommen. Ich eingeladen worden, an archäologischen Projekten teilzunehmen, sodass sich für mich meine beiden Kindheitsträume erfüllt haben. Sowohl die Kunst als auch die Archäologie.

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Penny Lane: Mit welchen Museen haben Sie zusammengearbeitet?
T. Lucker: Hier in Berlin, auf der Museumsinsel, mit allen Museen. Ich habe viel zu tun mit einem Museum in Köln. Wir arbeiten mit dem Louvre zusammen in Paris und mit vielen verschiedenen Museen, eigentlich international.

Penny Lane: Was war das Größte Objekt, an dem Sie bearbeitet haben?
T. Lucker: Mein Lieblingsprojekt war für das Neue Museum auf der Museumsinsel, das schon im 19. Jahrhundert die ägyptische Sammlung beherbergt hat, die dann zur Wiedereröffnung dort wieder eingezogen ist. Das Ägyptische Museum Berlin hat als einziges auf der Welt tatsächlich drei altägyptische Opferkammern. Dafür habe ich die Konzepte entwickelt, wie sie ganz neu restauriert, aber auch vor allen Dingen präsentiert werden können, und dass auch Rollstuhlfahrer durchfahren können. Das ist ein hochgradig spannendes Projekt gewesen. Auch diese Objekte sind 4,5 Tausend Jahre alt, mit Reliefs und Hieroglyphen verziert, sind kulturgeschichtlich ganz bedeutsam und unglaublich fragil. Einige von denen konnte man sogar nicht berühren.

Penny Lane: Ist Ihnen schon mal was kaputt gegangen?
T. Lucker: Ja. Jedem, der sein Leben lang das macht, geht mal irgendwas kaputt. Restaurator*innen sind so wie Ärzt*innen für Kunstobjekte und auch ihnen passiert mal was. Die Verantwortung ist sehr groß und man muss mit sehr viel Sorgfalt seine Arbeit machen. Aber es lässt sich nie ganz vermeiden, dass irgendwas kaputt geht.

Penny Lane: Wie lange dauert es, ein einzelnes Objekt zu restaurieren?
T. Lucker: Das ist ganz unterschiedlich. Wenn ihr euch eine kleine Figur, die umgefallen und durchgebrochen ist, vorstellt, muss sie dokumentiert werden, wieder zusammengeklebt, ein bisschen retuschiert und damit ist es in einem Tag fertig. Die Konzepte fürs Pergamon Museum haben wir 2003 entwickelt und das Museum wird nicht vor 2037 fertig. Die Planung für das Neue Museum, das wir mitrestauriert haben, haben wir 1997 begonnen, und das ist 2009 eröffnet worden. Im Sudan kann man nur arbeiten, wenn es dort nicht so heiß ist, sodass sich das Projekt über Jahre zieht. Bei der Bildhauerei ist das auch nicht ganz anders. Es ist nicht so, dass du morgens anfängst und am Abend fertig bist. Deine Arbeit geht über einen langen Zeitraum.

Penny Lane: Und wissen Sie ungefähr, wie viele Restaurator*innen es in Deutschland gibt?
T. Lucker: Das weiß ich gar nicht. Eine ganze Menge. Aber es ist ein sehr spezialisierter Beruf, deswegen ist die Community überschaubar und viele kennen einander.

Penny Lane: Was ist denn das Beste an dem Beruf?
T. Lucker: Das Beste ist die Vielfalt der Menschen und Techniken. Wir arbeiten mit Architekt*innen, Archäolog*innen, Vermessungsingenieur*innen oder Tragwerksplaner*innen zusammen. Und wir arbeiten mit 3D Technik, mit Scantechnik oder 3D basierter Reproduktion.

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Penny Lane: Was gefällt Ihnen nicht so an Ihrem Beruf?
T. Lucker: Das, was vielen Leuten heute nicht so an ihrem Beruf gefällt, ist, dass es immer mehr Bürokratie gibt. Die Anforderungen an die Arbeit und an die Dokumentation der Arbeit wird immer aufwändiger.

Penny Lane: Wie lange arbeiten Sie schon jetzt in dem Beruf?
T. Lucker: Meine Ausbildung habe ich als Steinmetz und Steinbildhauer im Handwerk 1981 begonnen. Schon 42 Jahre.

Penny Lane: Arbeiten Sie selbstständig oder als Angestellter?
T. Lucker: Selbstständig. Als freier Künstler sowieso und dazu habe ich eine kleine Firma mit wenig Angestellten, RAO, mit meinem Freund und Kompagnon Jan Hamann zusammen, mit dem ich damals schon die Ausbildung gemacht habe.

Penny Lane: Wie oft pro Monat kriegen Sie einen Auftrag?
T. Lucker: Es gibt tatsächlich manchmal ganz kurze Aufträge, die man schnell abarbeitet und Aufträge, wie das Pergamon, die sich über mehrere Jahre ziehen. Es gibt mal Jahre, wo gar nicht viel passiert. Und dann gibt es innerhalb dieses großen Auftrags immer wieder einen kleinen Extraauftrag. Durchschnittlich haben wir im Jahr um die 40 Aufträge.

Penny Lane: Was ist Ihr bestes Erlebnis?
T. Lucker: Das müsste ich trennen, weil ich zwei Berufe habe. In der Kunst wäre es ein großes Wandrelief, was ich vor zwei Jahren für eine Kirche in Zehlendorf gemacht habe. Der Bischof hatte eine Ausstellung von mir gesehen und mich gebeten, für seine Kirche zu arbeiten. Als das nach zwei Jahren fertig war, war er sehr glücklich. Das war für mich sehr berührend. Und in der Restaurierung ist es, würde ich sagen, das Neue Museum. Das war eine Ruine, das zu den DDR Zeiten gesprengt werden sollte und aus dieser wurde dann eben ein komplettes Museum, dem man seine ganze Geschichte ablesen kann. Das hat unsere damalige Bundeskanzlerin eröffnet. Niemand, der beteiligt war, hat vorher oder hinterher ein so faszinierendes Projekt innerhalb der Restaurierung und Denkmalpflege gemacht.

Penny Lane: Was braucht man so als Ausstattung für einen Relief wie in dieser Kirche?
T. Lucker: Was freie Kunst angeht, brauche ich meine Steine. Ein bisschen, wie die alten Griechen vor 2.000 Jahren gearbeitet haben, weil ich wenig mit Maschinen mache. Dazu meine Dunkelkammer, um die Steine zu belichten, ein bisschen Farbe und Pinsel. In der Restaurierung ist das viel komplexer. Wobei dadurch, dass ich hauptsächlich restauratorische Planung mache, brauche ich gar nicht viel mehr, als einen Computer. Ich arbeite einfach mit vielen Fachleuten zusammen, die dann alles notwendige haben, z.B. die 3D-Scan-Technik. Bei einer Restaurierungswerkstatt wie unsere, braucht man zum Teil sehr viele komplexe Maschinen und Geräte, Fahrzeuge und einen Kran, um die schweren Gewichte zu bewegen. Dazu ein Mikroskop und eine Absauganlage.

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Penny Lane: Machen Sie auch allein irgendwas?
T. Lucker: Ich bin ein großer Fan von Teamarbeit. Ich mag es gerne, mit Menschen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Aber es gibt immer wieder Dinge, die ich alleine mache. Zweimal im Monat z.B. fahre ich nach Köln und kümmere mich darum, dass die römischen Exponate in Sicherheit sind.

Penny Lane: Können wir fragen, wie viel Sie denn pro Auftrag verdienen?
T. Lucker: Ich glaube, da kann ich euch keine Antwort geben. Es gibt einen Auftrag, der bringt 2.000 € und es gibt einen Auftrag da steht vielleicht 1,5 Millionen drunter, aber das geht über so einen langen Zeitraum, sodass im einzelnen Monat auch nicht viel übrigbleibt. Wir sind eine Firma und das heißt, das Geld, was reinkommt, wird verteilt, davon muss die Miete und alle Mitarbeiter*innen bezahlt werden. Das ist in so einer Firma sehr schwer zu sagen.

Penny Lane: Kann man als Privatperson in Ihrem Atelier ein Kunstwerk kaufen?
T. Lucker: Die kleinen Reliefs kosten ca. 1.200 €. Und die lebensgroßen Figuren, die kosten vielleicht um die 8.000. Also das ist die Größenordnung.

Penny Lane: Würden Sie Ihren Beruf weiterempfehlen?
T. Lucker: Wenn man reich werden möchte, ist das nicht das Richtige. Aber was die Befriedigung angeht, immer wieder mit neuen, spannenden, tollen Herausforderungen konfrontiert zu sein und wenig gleichbleibenden Alltag zu haben, würde ich es unbedingt empfehlen. Ich habe noch keinen Beruf kennengelernt, wo ich sagen würde, das finde ich jetzt viel facettenreicher.