Außergewöhnliche Berufe: Bombenentschärfer

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Die Penny Lane – Anne, Moritz, Marlene und Leonard, 9. Klasse – hat einen Bombenentschärfer in ihre Redaktionsräume eingeladen und ihn ausführlich zu seinem Beruf interviewt. Nur seinen Familiennamen durften wir nicht erfahren. Nennen wir ihn also Stefan.
(Fotos folgen noch)

Penny Lane: Wie würde ein typischer Arbeitstag bei dir verlaufen?
Stefan: Den typischen Arbeitstag gibt es nicht. Wenn wir normal im Büro sind, schreiben wir Rechtsgutachten z.B., über Straftäter, die etwas gebaut haben. Im Fachjargon nennt sich das USBV (unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung). Wenn jemand Sprengfallen baut, werden sie von uns weggeräumt. Aus unserem Gutachten erfährt das Gericht, was es für eine Sprengfalle war und ob diese funktioniert hätte.

Penny Lane: Wie gehst du da genau vor, wenn Sprengstoff gefunden wurde?
Stefan: Als allererstes sperren wir den Bereich groß ab, sodass wir in Ruhe arbeiten können. Dann haben wir unterschiedliche Möglichkeiten. Eine davon ist ein Roboter (wir nennen ihn Theodor), das auf einem Fahrzeug, das wir vorfahren können, steht. Mit der Hand des Roboters können wir das Objekt manipulieren. Danach machen wir Übersichtsaufnahmen. Und wenn wir dann nichts weiter gefunden haben, was gefährlich aussieht, ziehen wir uns den Anzug an, nehmen unser Röntgengerät und machen Aufnahmen. Erst dann entscheiden wir weiter. Letztendlich versuchen wir, das Objekt zu beseitigen, ohne das große Schäden entstehen.

Penny Lane: Was hast du für eine Ausbildung gemacht und wie lange hat sie gedauert?
Stefan: Jeder fängt als normaler Polizist an. Die Polizeiausbildung dauert 2,5 bis 3 Jahre. Wenn man will, geht man dann zur Entschärfung. Die ganze Entschärfen-Ausbildung setzt sich aus vielen Modulen zusammen. Es gibt einen extra Lehrgang, in dem du das Sprengen lernst, sodass du das Sprengen auch selber anleiten darfst. Danach werden wir Sprengstoffermittler. Und erst dann hast du die Grundvoraussetzung, um bei uns zu arbeiten. Dazu kommen noch ganz viele Zusatzlehrgänge. Also ich gehe jetzt immer noch auf Lehrgänge, obwohl ich seit 5 Jahren im Beruf bin.

Penny Lane: Was bist du für ein Dienstgrad?
Stefan: Ich bin Hauptkommissar.

Penny Lane: Wie reagieren fremde Leute, wenn du von deinem Beruf erzählst?
Stefan: Ich versuche, es nicht jedem auf die Nase zu binden, aber irgendwie finden das alle cool. Viele sagen, dass es bekloppt ist, aber ich mache es gern. Außerdem arbeiten wir so, dass es für uns sicher ist.

Penny Lane: Was ist das Beste und das Schlimmste an diesem Beruf?
Stefan: Das Beste ist, dass ich Spaß daran habe. Im Leben soll man immer beachten, dass man Spaß an dem hat, was man macht. Dann kann man nämlich nur gut werden. Das Schlimmste? Keine Ahnung! Manchmal nervt es, wenn wir wegen Lehrgängen und Dienstreisen zu oft unterwegs sind, was wiederum nicht schlimm ist. Außerdem muss ich in der Rufbereitschaft nachts um zwei aufstehen, dann kann es mal sein, dass ich nicht gut drauf bin. Aber das liegt dann nur an der Uhrzeit. Ansonsten stört mich eigentlich gar nichts.

Penny Lane: Hast du besonders spannende oder besonders schlimme Erlebnisse?
Stefan: Nichts besonders Schlimmes. Ich glaube, jeder Einsatz, den man noch nicht hatte, der ist immer spannend. Als ich neu war und das erste Mal eine Handgranate gefunden habe, das war spannend. Diese findet man komischerweise heutzutage in Berlin ziemlich häufig. Das Spannendste ist eigentlich prinzipiell die Ungewissheit: Wenn du irgendwo hinfährst, ohne zu wissen, was dich erwartet.

Penny Lane: Würdest du den Beruf weiterempfehlen? Warum?
Stefan: Eben, weil er mir Spaß macht. Die Polizei hat so viele Facetten und man findet, wenn man da ist, für jeden Geschmack irgendeine Lücke. Jemand, der Hunde mag, kann z.B. zu den Hundeführern gehen.

Penny Lane: Wenn jetzt hier eine Bombe o.Ä. wäre, könntest du diese entschärfen?
Stefan: Es geht nicht so schnell wie im Film. Also dafür gibt es einen extra Lehrgang, der dauert auch eine ganze Weile. Wir haben Wassergewehre bei uns. Hört sich spannender an, als es ist. Es ist ein Rohr, bei dem vorne 300 Milliliter Wasser und eine eine Kartusche mit Pulver reinkommen. Damit schießen wir das Wasser mit 2000 bar in den verdächtigen Koffer oder Gegenstand. Es breitet sich aus, zerreißt den Gegenstand in 1000 Stücke und ist schneller als der Zündfunken. Wenn da ein Zünder drin ist, würde er also nicht mehr den Sprengstoff anschieben können. Das ist eine von Tausend Möglichkeiten. Dabei probieren wir, möglichst wenig Schaden anzurichten, was nicht immer möglich ist. Also, um die Frage zu beantworten: Ja, ich kann entschärfen und kriege in der Regel so eine Bombe weg. Dazu muss man sagen, dass wir nie alleine sondern immer mindestens zu zweit arbeiten. Der Einser trägt den Anzug und geht vor, während der Zweier alles in der Basis an unserem Fahrzeug vorbereitet. In den Anzug kommt man auch ziemlich schwierig alleine rein. Ich könnte, aber es ist nicht so schnell, wie man denkt.

Penny Lane: Brauchst du dazu auch Hilfsmittel?
Stefan: Also, wir haben unser Wassergewehr, unser Röntgengerät, unseren Theodor, sowie ganz viel Werkzeug auf dem Fahrzeug.

Penny Lane: Wo findet man denn in Berlin die meisten Handgranaten?
Stefan: Sie sind quer durch die Stadt verteilt. Es sind ja nicht immer nur Handgranaten. Wir haben Leute, die Sprengstoff selber bauen. Wir haben mit Pyrotechnik zu tun, z.B. mit Polenböllern, die richtig gefährlich sind. Wenn Leute die Teile auseinandernehmen und sich dann größere draus bauen wollen, ist das eine ziemlich blöde Geschichte. Wenn so etwas auffällt, dann kommen wir. Schwarzpulver dagegen ist nicht so schlimm. Das ist der älteste Sprengstoff der Welt, der von den Chinesen entwickelt wurde. Wenn ich das in der Hand habe, passiert nicht viel…außer Schmerzen in der Hand und Verbrennungen. Vom Blitzknallsatz hingegen, der in Polenböllern drin ist, reichen zwei Gramm und deine Hand ist weg. Eigentlich kommt dieser Blitzknallsatz der Umsatzgeschwindigkeit vom militärischen Sprengstoff schon sehr nahe.

Penny Lane: Warum sucht ihr nach diesen Gegenständen? Weil sie für die Hersteller gefährlich sind oder weil richtige Bomben daraus gebaut werden können?
Stefan: Sowohl als auch. Das Material kann jeder illegal an der polnischen Grenze kaufen und viele besitzen große Mengen davon. Diese nehmen wir auf dem Sprengplatz und schreiben Gerichtsgutachten für das Gerichtsverfahren. Das Besitzen und Zusammenbauen solcher Böller ist nämlich eine Ordnungswidrigkeit, oder sogar eine Straftat.

Penny Lane: Welche Strafe bekommt man dann dafür?
Stefan: Das entscheidet der Richter. Das kann von einem „Du, Du, Du!“ sein, weil die Person Ersttäter ist und nie auffällig war, bis hin zu einer Gefängnisstrafe. Letztes Jahr wurde ein Lehrer verurteilt. Er hat sich selbst in Berlin mehrere Sachen gebaut. Er hat u.a. eine kleine Kartusche in der Fußplatte eines Verkehrsschilds reingesteckt. Die faustgroße Brocken der Platte sind 80 Meter weit geflogen und haben Pingpong zwischen den Autos gespielt. Dabei wurde eine Person, die in dem Moment auf ihrem Balkon stand, verletzt. Der Lehrer hat in den nächsten Wochen noch ein paar Mal gesprengt, bis er aufgegriffen und für viereinhalb Jahren verurteilt wurde.

Penny Lane: Wie groß ist so eine Handgranate oder so eine typische Bombe ungefähr?
Stefan: Das kann man nicht Pauschal sagen. Eine Handgranate ist faustgroß, aber die selbstgebauten Sachen können von einem kleinen Böller bis hin zu einem riesigen Ding sein. In Norwegen hat Anders Breivik ein großes Attentat gemacht. Sein Kleintransporter war mit Sprengstoff vollgeladen. In dem Fall war quasi der komplette Kleintransporter die Bombe.

Penny Lane: Was für Bombenarten gibt es?
Stefan: Das kann man nicht genau auflisten. Es hängt immer davon ab, was der Erbauer bewirken will. Es gibt auch Gruppierungen, die eigentlich gar keinen „bösen“ Hintergrund haben. Auf Online-Plattformen treffen sich Leute, die etwas zusammenbauen, ein Loch im Acker sprengen und sich dann quer durch Deutschland darüber unterhalten, wie schön ihr Loch ist. Nichtsdestotrotz ist das das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, was als Straftat zählt.

Um überhaupt mit Sprengstoffen zu arbeiten, braucht man eine Erlaubnis. Und auch wenn manche Sprengstoffe zugelassen sind, darf sie trotzdem nicht jeder ohne Sprengschein haben. Dafür muss man auf Lehrgänge gehen und sein Fachwissen nachweisen. Und auch mit Sprengschein darfst du nicht die erlaubten Stoffe irgendwo anzünden. Also, es gibt schon Ausnahmen, aber im Grunde genommen ist der Besitz von Sprengstoff strafbar.

Penny Lane: Wird man im Anzug bei so einer Handgranatenexplosion verletzt oder nicht?
Stefan: Die Hände sind immer frei bei uns. Der Anzug mit Splitterschutz und der Helm halten eine bestimmte Menge an Sprengstoff aus, aber es kann sein, dass die Hände beschädigt werden.

Penny Lane: Warum hat man keine Handschuhe?
Stefan: Weil wir mit unseren Händen arbeiten müssen.

Penny Lane: Und wie musst du so eine Bombe entschärfen?
Stefan: Also, es sind nicht immer alles Bomben. Wir haben um die 400 Einsätze im Jahr, überall verteilt. Wir haben immer eine sieben Tage Rufbereitschaft. Und natürlich ist bei den 400 Einsätzen halt auch der leere Koffer mit dabei.

Penny Lane: Gibt es viele Einsätze wegen Fehlalarm?
Stefan: Ein Fehlalarm ist es ja nie. Es kommt irgendjemand hin und sagt, dass da etwas liegt, was ihm nicht gefällt und ruft die Polizei an. Dann kommt der erste Funkwagen: „Mir gefällt es auch nicht“. Daraufhin wird der Wachleiter angerufen, der alles in die Wege leitet. Wir kommen, wenn irgendjemand ein schlechtes Bauchgefühl hat und dann gucken wir einfach. Dementsprechend würde ich nie sagen, dass es ein Fehlalarm ist, sondern wir kontrollieren, ob es was Gefährliches ist oder nicht.

Penny Lane: Habe ich eine Strafe, wenn ich meinen Koffer so einfach vergesse?
Stefan: Nein, aber wir machen den einfach kaputt. Ist ein 1000€ Laptop drin, dann liegt er halt in 1000 Teilen daneben.

Penny Lane: Wie wirst du darauf aufmerksam, dass jemand oder eine Gruppe von Personen in Besitz ist von Sprengstoff?
Stefan: Das kann bei einer einfachen Durchsuchungsmaßnahme sein. Es fängt an bei zu lauter Musik, da kommt die Polizei und sieht, im Hintergrund ist irgendwas, was ihnen nicht gefällt. Es kann auch beim Nachlass eines Waffensammlers sein. Bei Bauarbeiten wurden auch schon Sachen, die in Häusern versteckt worden waren, gefunden. Ab und zu tauchen noch kleine Verstecke der RAF auf.

Penny Lane: Wie schwer ist die Weste, die man trägt?
Stefan: Mit Helm, Hose usw. wiegt der komplette Anzug 40 Kilo.

Penny Lane: Wann trägst du ihn?
Stefan: Ich trag den immer von Einsatzbeginn, also wenn wir den Roboter manövrieren, bis wir wissen, was uns da vorne erwartet. Auch nachdem wir das Röntgenbild gemacht haben, lassen wir den Anzug an.

Penny Lane: Ist es heiß unter dem Anzug? Gerade im Sommer bei 30 Grad.
Stefan: Also, wenn du dann drei Stunden darin steckst, dann macht das keinen Spaß mehr. Nur der Helm hat eine Belüftung.

Penny Lane: Und was ist mit der Angst?
Stefan: Die gibt’s. Ich würde eher von Respekt als von Angst sprechen. Ich würde lügen, wenn ich sage, ich habe mir noch nie fast in die Hose gemacht. Passiert ist es noch nicht. Aber es gibt halt immer mal so Momente, wo man sich dann denkt: Wow! Echt jetzt? Aber wenn man da vorne ist und arbeitet, ist man im Arbeitsfilm drin.

Penny Lane: Was hältst du von der Tradition Böllerwerk in Berlin beim Silvester?
Stefan: Zwiegespalten. Ein richtiges Höhenfeuerwerk finde ich schön. Würde das jeder Bezirk machen, wäre die ganze Stadt für alle erleuchtet. Aber so einen Knaller, der nicht mal schön aussieht, ist Geldverschwendung.

Penny Lane: Was hält deine Familie von deinem Beruf?
Stefan: Sie finden es total in Ordnung. Meine Schwester sagt sogar, dass mein jetziger Beruf weniger gefährlich sei, als der vorherige.

Penny Lane: Was hast du vorher gemacht?
Stefan: Ich war bei der Bundeswehr.

Penny Lane: Warum hast du gewechselt?
Stefan: Weil ich einen Sohn habe und oft weiter weg stationiert war. Als ich in Afrika aus dem Flieger gestiegen bin, hat mein Sohn seinen ersten Schritt gemacht. Damals war es mein Traumjob, jetzt ist es ein Job, der Spaß macht. Es gibt halt einfach Sachen im Leben, die wichtiger sind, als Arbeit.