Anne und Marlene (9. Kl.) haben wieder einen Restaurator getroffen. Carsten Hüttich hat sein Atelier praktisch hinter den Wänden unseres Schulhofs, eine kleine Remise voller Schätze. Diese waren allerdings fast alle in Umzugskartons eingepackt, denn Carsten machte sich bereit für einen neuen Lebensabschnitt als Restaurator in Frankreich. Just before seiner Abfahrt konnten wir uns über die Wichtigkeit der Spuren, die die Geschichte auf unsere Wände hinterlässt, unterhalten und erfahren, wie man die Pflege dieser Spuren zum Beruf macht.
Vielen Dank an Carsten für seine Zeit und für die Fotos, die wir hier veröffentlichen durften.
Penny Lane: Was genau ist Ihr Beruf?
Carsten Hüttich: Ich bin Restaurator für Wandmalerei, Steinobjekte und Mosaik. Man unterscheidet zwischen dem Restaurator und dem Diplomrestaurator, der eigentlich ein geschützter Beruf ist. Die Denkmalpflege legt großen Wert darauf, dass an die wichtigen Objekte immer Diplomrestauratoren rangehen, weil es nicht unbedingt darauf ankommt, im künstlerischen Sinne besonders gut ergänzen zu können, sondern sich eher zwischen dem eigentlichen Schöpfungsakt und dem Zustand, den es jetzt hat, was restauriert werden soll, ein bisschen zu vermitteln. Eine gute Restaurierung ist eine Restaurierung, die man nicht sieht.
Penny Lane: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen Beruf auszuüben?
Carsten: Früher habe ich in der DDR als Techniker am Theater gearbeitet. Als ich nach der Wende 1989 in den Westen reisen durfte, bin ich gleich nach Frankreich gefahren. Dort habe ich gesehen, dass die Leute sehr viele schöne alte Sachen wegschmeißen oder auf Flohmärkten verkaufen. Ich bin immer die Mülldeponien abgefahren, um zu schauen, was es da Schönes gibt. Dann bin ich erst später auf die Idee gekommen, dass man das auch zum Beruf machen könnte. Restaurator.
Penny Lane: War das auch Ihr Traumberuf?
Carsten: Ja, kann man schon sagen.
Penny Lane: Wie sieht denn so ein typischer Arbeitsalltag von Ihnen aus?
Carsten: Das Typische an unserem Beruf ist, dass es keinen typischen Arbeitsalltag gibt. Ich arbeite immer an unterschiedlichen Objekten mit unterschiedlichen Leuten zusammen. Jedes Objekt erfordert eine ganz andere Hingabe. Ich war zum Beispiel im Neuen Museum in Berlin für ein Team aus ungefähr 25 verantwortlich. Da komme ich selber kaum zum Restaurieren und muss nur leiten. Und dann arbeite ich auch mal selber und unabgelenkt monatelang an einem kleinen Mosaik oder an einer kleinen Wandmalerei.
Penny Lane: Also manchmal restaurieren Sie nicht selber, sondern planen die Arbeit?
Carsten: Genau. Zum Beispiel gerade arbeite ich an einem schönen großen Brunnenmosaik im Staatsratsgebäude. Hier mache ich die Planung für die Kollegen, die dann die Restaurierung ausführen.
Penny Lane: Was haben Sie für eine Ausbildung gemacht?
Carsten: In dem Fall ist Ausbildung und somit Praktikum, Voraussetzung für ein Studium. Also Abitur, zwei Jahre Praktikum bei einem Restaurator mindestens und dann Studium.
Penny Lane: Und wie lange hat das Studium gedauert?
Carsten: Fünf Jahre. Wir waren fünf Leute im Semester, was natürlich super war, weil du gute Möglichkeiten hast, etwas zu lernen, direkt mit dem Professor zu arbeiten und die Werkstatt zu nutzen.
Penny Lane: Das müssen Sie jetzt nicht beantworten, aber wie viel verdienen Sie denn so?
Carsten: Das ist eine gute Frage, weil ich mich darum nicht so gerne kümmere. Ich gucke, dass immer genug da ist.
Penny Lane: Wie lange arbeiten Sie in dem Beruf?
Carsten: Nicht so lange, wie ich eigentlich hätte arbeiten müssen, wenn ich gleich dazu gekommen wäre. Ich bin mit 25 aus der DDR ausgereist, habe mich erst ein bisschen im Westen orientiert und war mit 35 fertig mit dem Studium fertig.
Penny Lane: Wie viele Restauratoren gibt es ungefähr in Berlin?
Carsten: Aus meinem Bereich 50, würde ich mal sagen. Viele machen das nicht hauptberuflich und machen noch was anderes nebenbei.
Penny Lane: An wie vielen Projekten haben Sie schon gearbeitet?
Carsten: Das kann ich genau sagen, weil meine Projekte nämlich Nummern kriegen. Ich bin jetzt gerade bei 287.
Penny Lane: Wie lange dauert durchschnittlich ein Projekt?
Carsten: Ganz unterschiedlich. Manchmal muss ich ein Objekt in nur einem Tag untersuchen und eine kurze Einschätzung schreiben, aber das ist selten. Am Neuen Museum habe ich drei Jahre gearbeitet. Am Projekt Marienkirche, auch in Berlin, habe ich 2017 bis 2022 gearbeitet. Man arbeitet an vielen Projekten gleichzeitig und mit Unterbrechungen.
Zum Beispiel ist eigentlich ein Spezialgebiet von mir Wandbildabnahmen. Wenn das erforderlich ist, nehme ich Wandbilder ab von der Wand. Es ist sehr immer aufregend, was ich sehr mag, weil dabei viel schiefgehen kann. Das ist immer ein Abenteuer. Das Bild wird abgenommen, eingelagert, restauriert und kommt letztendlich wieder an einen neuen Ort. Gerade arbeite ich eins in einer Arbeitersiedlung aus der DDR-Zeit in Stralsund, die abgerissen wird. Da ist ein ungefähr 20 Quadratmeter großes, sehr schönes sozialistisches Wandbild an einer Außenfassade. Das Bild habe ich von der Wand abgenommen und es wird auf einem neuen Träger an einem Neubau angebracht.
Penny Lane: Warum ist es so wichtig, dass Wandbilder aus der DDR erhalten bleiben?
Carsten: Weil das auch ein Stück Gedächtnis und Identität ist. Gerade für Einwohner ist das ganz wichtig. Vielen Menschen geht es nicht so gut damit, wenn ihnen was geraubt wird. Und wenn man das so missachtet, dass man ein Haus abreißt, ohne die Wandmalerei zu retten, dann ist das auch eine Missachtung Ihres Lebens. Tilgt man Spuren der Geschichte, kann man sich nicht mehr mit ihr auseinandersetzen.
Penny Lane: Macht der Denkmalschutz manchmal mit?
Carsten: Ja, ich arbeite immer mit dem Denkmalschutz zusammen, außer bei modernen Sachen wie Streetart.
Penny Lane: Reagieren die Leute positiv auf ihren Beruf?
Carsten: Ja, sie sind auch immer sehr interessiert und fragen.
Penny Lane: Wie genau wird eigentlich so ein Wandbild übertragen?
Carsten: Es gibt unterschiedliche Methoden. Man kann z.B. die Farbe mit dem Putz bzw. mit dem Untergrund zusammen abreißen. Man kann auch das ganze Mauerwerk abnehmen. Bei Abrissbauten geht das so, dass man einfach die Wand an einen Kran hängt, was aber selten möglich ist.
Penny Lane: Und wie kann man die Farbe von der Wand ablösen?
Carsten: Das müsst ihr euch wie ein Pflaster vorstellen. Man untersucht erstmal das Bild: welche Konsistenz hat die Farbe? Ist es Öl- oder Leimfarbe? Anhang dessen sucht man ein Klebemittel aus, mit dem man Leinenbahnen auf dem Bild klebt. Das Bild bleibt dann als Abdruck auf dem Leinen.
Penny Lane: Was ist das Beste in Ihrem Beruf?
Carsten: Am meisten Spaß macht die Abwechslung. Es ist immer wieder was Neues. Was ich auch als sehr schön empfinde, ist, dass die Kunst immer von mir dort bearbeitet wird, wo sie auch entstanden ist.
Penny Lane: Und das Schlimmste an ihrem Beruf?
Carsten: Manchmal ist es ein bisschen schmutzig, dreckig und laut, weil wir mitten in Baustellen arbeiten. Wir sind immer als erstes auf der Baustelle, um alles zu sichern und sind die Letzten, um den Schutz abzunehmen.
Penny Lane: Was ist Ihr schlimmste Erlebnis?
Carsten: Also einmal sind wir bei einem Transport von einem Bild auf einer Bühne angestoßen. Es hat eine Vibration bekommen und ist dann heruntergefallen. Wir mussten es wieder zusammensetzen. Einmal hatten wir auf einer Baustelle nächtlichen Vandalismus. Es wurden Bilder zerstört, die wir wieder zusammensetzen mussten.
Penny Lane: War ist Ihr schönstes Erlebnis?
Carsten: Das Schönste ist eigentlich das neue Museum gewesen. Der Architekt David Chipperfield, ein ganz wichtiger und guter Architekt, hat die Vorgaben der Restaurierung und die ästhetische Zielstellung vorgegeben. Es ist nämlich wichtig, sich vorher klarzumachen, was für eine Ästhetik man will. Chipperfields Ziele waren genau mein Stil. Beim Projekt war genug Geld da, die Leute waren toll und bei der Eröffnung hat Sasha Waltz das Museum betanzt. Wir haben weiter gearbeitet, während ihre Tänzer um uns herum geprobt haben. Das war insgesamt ein sehr schönes Projekt.
Penny Lane: Stimmt es denn, dass Sie auch mal Bilder von Banksy restauriert haben?
Carsten: Abgenommen, ja. Solche Abnahmen macht man eigentlich nur, wenn sie unbedingt notwendig sind. Es ist wichtig, dass man die Dinge immer an dem Ort behält. Sie stellen immer ein Stück Identität und Geschichte der Stadt dar. Die Streetart ist ein bisschen ein Zwischending, weil das im Prinzip illegale Kunst ist, an unerlaubte Ort gesprüht. Es ist natürlich eine sehr begrüßenswerte Kunst, die sich auch über Verbote hinwegsetzt und ein bisschen anarchisch ist. Das ist ja was Tolles eigentlich. Sonst entsteht ja auch nichts Neues. Irgendwann wurde Banksy zu berühmt und viele haben festgestellt, dass seine Bilder viel Geld wert sind. Leute, die technisch keine Ahnung hatten, haben versucht Graffiti von der Wand abzukratzen und dabei viel zerstört. Zwei mal haben mich Sammler gefragt, ein Banksy auf einem privaten Gebäude sicher abzunehmen. Das war ein ungemütliches Spannungsfeld: Sollte ich den Kommerz lieber nicht unterstützen oder das Kunststück doch vor Vandalismus schützen? In den zwei Fälle habe ich den Auftrag angenommen, weil es ja auch um die Ecke war, und weil die Sammler den Eigentümer um Erlaubnis gebeten hatten. Die Bilder wurden dann in einer Kunstkunstversteigerung verkauft.
Penny Lane: Würden Sie Ihren Beruf weiterempfehlen?
Carsten: Ja, würde ich machen. Übrigens ergreifen mehr als 95 % Mädchen den Beruf, was neu ist. Die Mischung aus Naturwissenschaft, Kunst, kreativem Denken und manuellem Arbeiten sagt vielen Mädchen zu. Viele Frauen in der Branche haben ihre eine Firma.