Außergewöhnliche Berufe: Grillz Meister

Foto: Adrian Baier, Grills Meister Berlin

Die ersten Zahnersätze aus Gold findet man schon bei den Etrusker 700 v. Chr. Wer sich sowas leisten konnte, hat das bestimmt stolz gezeigt. Am Ende der 1980er hat man schon in der Hip-Hop Szene mit Goldzähne als Schmuckstücke geprahlt. Nun erobern die sogenannte Grillz Berlin, und zwar nicht mehr nur beim Gangsterrap-Milieu. Wer erstellt überhaupt diese Grillz? Wie wird man „Grillz Meister“? Ist man da eher Künstler oder Zahntechniker? Und wie gründet und führt man ein Grillz-Atelier? Das alles und mehr haben Jérôme und Oskar vom Grillz-Meister Adrian Baier himself erfahren. Vielen Dank an ihn für seine Zeit (und die hier veröffentlichten Fotos).

Penny Lane: Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Adrian Baier: Er ist jedes Mal unterschiedlich. Erstmal habe ich das große Glück, selbstständig zu sein und kann mir das dementsprechend einteilen, wie ich möchte, nach Lust und Laune. Hört sich im ersten Moment recht romantisch an, ist aber dennoch ein kleines Hamsterrad, was man sich selber baut. Denn, wenn du viel Arbeit hast, musst du viel arbeiten und wenn du wenig Arbeit hast, musst du dafür sorgen, dass du mehr Arbeit bekommst. Morgens wird erstmal gesaugt, Kaffee gertrunken und Computer angemacht, um die Anfragen zu beantworten. Diese kommen über alle online Kanäle, wo ich vertreten bin. In aktive Werbung investiere kein Geld, sondern es läuft alles durch Mund Propaganda, soziale Medien und Bewertungen von Kunden auf Google.

Foto: Adrian Baier, Grills Meister Berlin
Adrian Baier

Penny Lane: Wie viele Leute kaufen sich Grillz?

Adrian: Die Deutschen sind konservativ. Hier trauen sich die Leute nicht so viel. Am meisten verkaufen sich einzelne Zähnchen zum Ausprobieren. Die wenigsten sagen „Ey, komm, wir gehen jetzt all in, wir ziehen hier richtig durch das ganze Gesicht voller Gold und Diamanten“. Ist natürlich auch eine Kostenfrage. Wenn wir jetzt wirklich von einem einzelnen Zahn anfangen in Gold, kostet es bei mir 357 €. Und dann geht es ohne Grenze nach oben.

Penny Lane: Gibt es außer Gold noch andere Materialien? Silber, Diamanten?

Adrian: Ich arbeite mit Chrom, Gelbgold und Weißgold. Und ich biete noch eine zahnfarbene Variante an. Für die Leute, die auf Vampiroptik stehen, baue ich Sachen, die genauso aussehen, als wären sie quasi gewachsen. Der große Unterschied von mir zu anderen Herstellern ist, dass ich Zahnmedizinprodukte benutze: nicht gesundheitsgefährdend, in Deutschland zertifiziert, biokompatibel. Mischung mit Legierungen soll man nämlich vermeiden, denn über die Schleimhaut nimmst du die Schadstoffe sofort auf.

Penny Lane: Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Beruf auszuüben?

Adrian: Ich habe mich zufällig für eine Ausbildung als Zahntechniker entschieden. Ich war dann lange in mehreren Dentallaboren angestellt. Der Beruf ist schön, wenn man handwerklich interessiert ist, jedoch nicht so kreativ und lukrativ, wie man denkt.
Einmal hat mich ein Fußball Kumpel angesprochen: „Ich bin gerade aus den USA wiedergekommen und habe da drüben mal Grillz gekauft. Niemand hier macht das, ich will das an den Start bringen. Kannst du mir helfen?“ Ich war gleich Feuer und Flamme, habe meinen Job geschmissen und wir haben uns selbständig gemacht. Damals haben wir alle Grillz für Ufo 361 gebaut.

Penny Lane: Was waren so einige der großen Stars?

Adrian: Wir haben spannende Projekte für alle möglichen Rapper gemacht.
Wir sind zu Jerome Boateng nach München, um seine Abdrücke in seiner Villa zu machen. Das war wirklich eine wilde Zeit. Irgendwann haben sich die Ideen mit meinem Gesellschafter auseinandergelebt und jeder macht jetzt sein eigenes Ding. Zum Glück gibt es in Berlin genug Platz für zwei oder drei Hersteller. Mittlerweile bin ich nicht mehr in diesem Hip-Hop Ding so fest verwurzelt. Natürlich sind Grillz ein Hip-Hop Produkt, muss man einfach sagen, wie es ist. Wenn man sich in diesem Bereich aufhält, sind es die Rockstars, die dann meine Kunden sind. Ich habe einige Influencer. Ich habe hier gerade zum Beispiel eine Arbeit für Lena von den Zwillingen Lisa und Lena.
Ich baue keine großen, plumpen Sachen mehr sondern Schmuck. Ich habe einen Stil für mich entwickelt, der die Anatomie mit tatsächlich klassischem Schmuck vereint, so dass es noch aussieht wie ein Zahn, nur geiler.
Für die Ufo Geschichten hatte ich einmal eine Art Spinnenbeine, komplett mit Diamanten gebaut. Vor kurzem habe ich Sachen gebaut, die, wenn die im Tageslicht sind, komplett lila sind und sobald das Licht ausgeht, leuchten darunter so Monsterzähne. Zurzeit mache noch eine Ausbildung in Münster zum Edelsteinfasser.

Foto: Adrian Baier, Grills Meister Berlin
Foto: Adrian Baier

Penny Lane: Würdest du anderen den Beruf empfehlen? Was würdest du sagen, sind die guten Dinge daran? Was ist was Schlechtes oder was Schwieriges, was den Job sehr hart macht?

Adrian: Wenn man auf ein Produkt sehr spezialisiert ist, ist es wirklich schwer, damit auch Geld zu verdienen. Das Geld muss ja für die Miete, die Privatausgabe und die Firmenausgaben reichen. Schwierig ist auch, einen Kundenstamm, einen Namen und ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen. Dazu musst du auch handwerkliches Geschick und Kreativität haben.

Penny Lane: Kommen häufiger eher alte Kunden oder auch neue?

Adrian: Wir haben viele neue Kunden. Natürlich kommen auch alte Kunden wieder, die dann noch was haben wollen. Aber wir leben auch absolut von Neukundengeschäft. So im Schnitt habe ich jeden zweiten Tag zweieinhalb Kunden. Mal hast du eine Woche gar keinen, mal hast du fünf neuen Kunden. Man muss ins Gespräch kommen, sich zeigen, draußen unterwegs sein, Öffentlichkeitsarbeit betreiben, was alles viel Energie kostet.

Penny Lane: Also würdest du sagen, du arbeitest jetzt eigentlich die ganze Zeit oder hast du eine bestimmte Arbeitszeit?

Adrian: Meine Frau sagt, ich arbeite nur. An Tagen, wo ich nicht arbeite, mache ich mir darüber Gedanken, was ich machen kann, wie die nächsten Schritte sind. Also so romantisch und schön, wie die Selbstständigkeit klingt, ist es nicht immer. Ich würde jedem empfehlen, der in so eine Richtung geht, eine gute Grundlage zu schaffen, indem er die richtige Ausbildung wählt. Eine gute handwerkliche Ausbildung im Vorhinein lernst du nur, wenn du neben jemandem sitzt, der dir das zeigt, dass YouTube nichts dagegen ist. Du musst dir das beibringen lassen von jemandem, der alle Fehler, die du tendenziell machen kannst, schon gemacht hat.

Foto: Adrian Baier, Grills Meister Berlin
Foto: Adrian Baier

Penny Lane: Würdest du sagen, dass der Beruf risikoreich ist?

Adrian: Also es kann tendenziell immer alles schiefgehen. Als ich mich damals selbstständig gemacht habe, war ich gerade an einem Wendepunkt in meinem Leben. Privat ist viel passiert. Ich hatte gar kein Geld. Mein Kumpel, der ein Dentallabor hatte, hat mir einen Raum angeboten, wo ich arbeiten konnte.

Ganz am Anfang war das natürlich für mich auch richtig cool, dass ich die Möglichkeit hatte, die Geräte mitzubenutzen und keine eigenen Kosten zu haben. Es wurde dann einfach zu eng in dem Dentallabor und wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mir ein paar Sachen selber anschaffe. Mein damaliger Kollege wollte auch vermeiden, dass seine Patienten meinen voll tätowierten Kunden treffen (leider leben wir noch in einer Gesellschaft, wo man optisch sehr schnell beurteilt wird). Also habe ich die Kunden bei mir Zuhause empfangen. Du willst aber nicht die ganze Zeit fremde Leute bei dir Zuhause haben. Später konnte ich zwei Räume in einem Tattoostudio mieten und dann hat sich das alles ganz langsam gesteigert, bis wir in diesem Jahr hier eingezogen sind. Mittlerweile habe ich alle Geräte, um alles selber zu machen und bin handwerklich soweit, dass ich alle meine Grillz selber herstelle, auch mit Edelsteinen.

Penny Lane: Du arbeitest sozusagen allein und dir steht auch selber alles zur Verfügung?

Adrian: Ich habe noch Hilfe, eine Kollegin, die bei mir einen ganz kleinen Minijob hat. Aber im Großen und Ganzen bin ich allein.

Penny Lane: Was für Altersklassen sind an deinem Produkt vor allem interessiert?

Adrian: Im Schnitt sind meine Kunden zwischen 25 und 35. Einer meiner jüngsten Kunden war 14. Wenn du dafür 800 € ausgeben willst, würde ich gerne das Gesicht der Eltern sehen, wenn du mit zwei Goldzähnen nach Hause kommst. Ihr Vater war mit ihr und hatte kein Problem damit. In dem Alter muss man euch aber schon schützen, dass ihr keine Entscheidungen trifft, die ihr vielleicht gar nicht abschätzen könnt, weil es einfach doch sehr kostenintensiv ist und weil man dann eventuell auch unterschätzt, dass sich im Mund dann doch auch was verändern kann.

Foto: Adrian Baier, Grills Meister Berlin
Foto: Adrian Baier

Penny Lane: Und der älteste Kunde?

Adrian: Von ganz früher noch, der war um die 70. Er hat ein ganz ausgefallenes Modell bekommen. Es musste stabil, dennoch herausnehmbar sein. Er wollte nur einen einzelnen Streifen zwischen den Schneidezähnen, voll mit Diamanten besetzt. Es war eine coole Aufgabe.

Aber es ist nicht immer dasselbe. Du musst komplett kreativ und künstlerisch sein. Wenn du von mir auf deinem linken Eckzahn einen Cap bekommst und bestellst danach nochmal eins für rechts, wird er anders aussehen, weil ich alles von Hand mache und jeder Zahn anders ist, wie ein Fingerabdruck.

Penny Lane: Arbeitest du mit Firmen zusammen, die dir Materialien liefern?

Adrian: Ich habe ein großes Augenmerk darauf, dass ich Zulieferer habe, die gut sind, die ich schon mal gesehen habe und zu denen ich einen einfachen Kontakt haben kann. Das heißt, mein ganzes Gold zum Beispiel bestelle ich per WhatsApp. Also ich könnte dem jetzt schreiben, ich bräuchte was und wie viel Gramm ich wovon brauche und dann wird das geliefert.

Penny Lane: Kannst du nochmal beschreiben, wie der ganze Ablauf deiner Arbeit ist?

Adrian: Gehen wir mal davon aus, du kommst aus Berlin. Dann stellst du mir eine Anfrage. Wir reden kurz darüber, was du dir vorstellst. Wir machen einen Termin für den Abdruck aus. Vor Ort kläre ich dich über alles Wissenswerte auf, ich nehme den Abdruck und der Kunde zahlt den Auftrag. Der Abdruck wird dann desinfiziert und mit Gips ausgegossen, so habe ich ein Gipsmodell. Die Abdrücke bestehen aus zwei verschiedenen Komponenten: einmal eine Basis und dann das orange Material, um nochmal eine feine Abformung zu machen. Auf diesem Modell wird dann alles, was gewünscht ist, ein einzelnes Cap oder ein Schriftzug zum Beispiel, in Wachs modelliert. Die Modellierung wird dann abgenommen und eingebettet. Dann kommt das in den Ofen, das Wachs brennt aus und in dieser feuerfesten Form entsteht ein Hohlraum. In diesen Hohlraum wird dann das heiße Metall gegossen und dann hat man das, was vorher in Wachs war, in dem gewünschten Metall. Das wird dann ausgearbeitet.

Penny Lane: Muss man auch manchmal die Sachen neu machen?

Adrian: Ja, manchmal. Es passt nicht immer alles. Manchmal passt es aus anatomischen Gründen nicht, dass die Caps gar kein Halt finden. Dann benutzt man Haftcreme oder findet einen anderen Klammernweg. Manchmal steckt man nicht drin und weiß nicht, was die Ursache ist. Dann fängst du von ganz vorne an und manchmal kann man es einfach ganz simpel lösen.

Foto: Adrian Baier, Grills Meister Berlin
Foto: Adrian Baier

Penny Lane: Wie lange dauert es, alles fertigzustellen?

Adrian: Aktuell warten meine Kunden acht Wochen auf ihre Arbeit.

Penny Lane: Hast du ständig Anfragen?

Adrian: Ständig. Grillz kommen einfach immer mehr an. Man sieht sie häufiger in Werbungen. Sie sind nicht mehr nur für Rapper, sondern es ist mehr wie Schmuck, zwar extravaganter, aber es ist Schmuck. In den USA interessiert das keinen. Da hat die Kellnerin Grillz und das wird gar nicht groß thematisiert.

Penny Lane: Was wäre denn das Günstigste, was man bei dir kriegen könnte?

Adrian: Das wäre ein einzelner Zahn in einer Kobalt-Chrom-Legierung für 194 €.

Penny Lane: Und das teuerste, was du gemacht hast oder was du anbietest?

Adrian: Wirklich große Arbeiten mit super vielen Steinen gehen schon mal in den Tausend-Bereich. Ich habe zum Beispiel eine Arbeit gemacht für eine Kundin, die extra aus Köln angereist kam, um den Abdruck nehmen zu lassen und damit wir alles besprechen. Das war eine ganz kleine Schneeflocke, die komplett vollbesetzt war. Diese war sechs Quadratmillimeter groß, die hat wirklich nur auf einem Zahn gesessen und daneben waren Rahmen und da sind wir schon mal schnell bei dreieinhalbtausend Euro. Das ist wirklich eine super kleine Arbeit, zeitintensiv und hochwertig von den Materialien her.

Penny Lane: Wie reagieren Leute, wenn sie von dem Beruf hören?

Adrian: Die erste Frage, die ich oft bekomme, ist, ob man davon leben kann und wer sowas kauft. An sich sind die meisten Leute interessiert und finden das eigentlich eher spannend.

Penny Lane: Wie lange bist du schon dabei, in dem Beruf spezifisch?

Adrian: Richtig damit beschäftigt bin ich seit 2016. Mit der Zahntechnik habe ich nichts mehr zu tun.

Penny Lane: Mit welchen Influencern oder Rappern etc. hast du gearbeitet, die für dich besonders waren?

Adrian: Wir haben für Bonez Sachen gebaut, Shindy, Miami Yacine, Ufo. Ein Fanboy war ich aber nie. Für mich ist es immer spannend, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, weil du sie in dem privaten Moment erwischst und siehst, wie sie sind, wenn keine Kameras da sind. Ich bin nicht aufgeregt oder sonst irgendwas, egal, wer kommt. Ich kann da super entspannt und professionell bleiben. Was ich zum Beispiel richtig cool finde ist, wenn Zahnärzte was bei mir machen lassen. Ich habe einige Kunden, die Zahnärzte sind, die dann auch in ihre Dentallabore gehen könnten und das dort anfertigen lassen können, sich aber dennoch entscheiden, es bei mir zu machen.

Penny Lane: Wie viele Leute gibt es in Berlin, die Grillz professionell machen?

Adrian: Es gibt schon einige, aber es ist eine relativ kleine Community. Viele bauen die Sachen nicht selbst, sondern haben Angestellte, Zahntechniker oder Goldschmiede. Manche haben sich das irgendwie selber beigebracht. Jeder, der was herstellt, was handwerklich ist, hat seine eigene Handschrift in irgendwas. Wenn ich mir Arbeiten von anderen Leuten angucke, gefallen mir natürlich künstlerisch oder technisch manche besser und manche schlechter, was vollkommen okay ist.

Penny Lane: Wie sieht es aus mit dem Social Media Game?

Adrian: Ich habe auf Instagram ein bisschen über 12.000 Follower, was für ein Nischenprodukt schon ganz gut ist. Wenn ich ein Video mit Lena poste, dann sehen das nicht so viele Leute. Wenn sie das postet, sind das Tausende. Das hat einen ganz anderen Impact.

Penny Lane: Wenn bei dir was kaputt geht, bist du da sehr frustriert und hast keine Motivation weiterzumachen?

Adrian: Du hast ja keine Wahl. Der Kunde hat schon bezahlt. Ich arbeite mit diesem Vorkassensystem aus zwei verschiedenen Gründen. Erstens bin ich in einer komfortablen Situation, habe das Geld im Vorhinein und kann u.a. meine Arbeitsmaterialien kaufen. Und zweitens bin ich in der Bringschuld und nicht der Kunde. Er hat bezahlt, jetzt muss ich liefern. Ich kann nicht einfach sagen, dass ich nicht mehr weitermache, weil mir was schiefgelaufen ist. Du willst deine Kunden und dich selbst nicht enttäuschen. Du musst dich immer motivieren.

Adrian Baier, Grills Meister Berlin
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