[Ein Artikel von Janne, basierend u.a. auf einem Interview mit Herrn Reinicke]
„Man ist, was man isst.“ Diese, vielen bekannte Aussage, ist vermutlich im übertragenden Sinne zu verstehen, denn wie uns allen bekannt ist, wird man nicht zu einem Burger, sobald man einen gegessen hat. Sie verdeutlicht vielmehr, die Einteilung von gesundem und ungesundem Essen. Isst man gesundes Essen, ist man gesund und logischerweise ist es erstrebenswert gesund zu sein, um möglichst lang und gut zu leben. Sprich, unser Essen wird im übertragenen Sinne viel mehr in gut und böse eingeteilt, denn gesund ist gut und alles andere ist ungesund und dann ist man nicht gut.
Was dabei dann als gute Lebensmittel und was als Schlechte gilt, wird uns bereits in der Grundschule, anhand von bunten Ernährungspyramiden, oder Leuten die uns vorschreiben was in unserer Brotdose zu sein hat, vermittelt. Wir prägen uns ein: Obst und Gemüse und viel Wasser sind ein Muss. Butter, Süßigkeiten und fetthaltige Lebensmittel dagegen (also alles, was die meisten Kinder am liebsten mögen), sollte man meiden und wenn möglich sogar ganz darauf verzichten.
Essen hat einen sozialen Wert
Allerdings stellt sich die Frage, ob sich Lebensmittel wirklich auf zwei Gruppen reduzieren lassen und ob ungesunde Lebensmittel wirklich „ungesund“ sind? Denn ob Lebensmittel „gesund“ oder „ungesund“ sind, lässt sich nicht nur schlicht durch ihre Nährstoffe ermitteln. Essen hat einen sozialen Wert. Dabei geht es nicht nur darum seinen Körper bestmöglich mit Nährstoffen zu versorgen, sondern (in unserer privilegierten Gesellschaft) auch ums glücklich sein. Wenn man Lust auf ein bestimmtes Lebensmittel hat, dann macht es einen glücklich, diesem Bedürfnis nachzugehen.
Zumal sich ein Mensch mit gesundem Essverhalten, grundsätzlich auf sein Hungergefühl verlassen kann und sollte. Der Körper kann schließlich, entweder durch das klassische Magenknurren, aber auch durch die Lust auf Lebensmittel, ausdrücken, was und wie viel er braucht. Diese Gefühle und Signale, kann man natürlich hinterfragen und versuchen nachzuvollziehen, z.B. indem man seinen Grundumsatz berechnet und zählt wie viel Energie man seinem Körper letztendlich zuführt, so wie es im Biologieunterricht häufig durchgeführt wird.
Die Oberflächlichkeit des Grundumsatzes
Bei einem Interview mit Herr Reinicke (einem Biologielehrer beim John-Lennon-Gymnasium) erklärte dieser uns, dass das Erlernen solcher Strategien gerade zu heutiger Zeit, in der Social Media und damit realitätsferne Körperbilder, immer mehr zum Alltag gehören, wichtig sei um ein Realistisches Bild zu bekommen, an dem man sich festhalten kann.
Gerade wenn man unzufrieden mit seinem Körper oder seiner Ernährung ist, kann es selbstverständlich hilfreich sein, einen Realitäts-Check durchführen zu können, indem man vergleicht, inwiefern die eigene Ernährung den körperlichen Ansprüchen entspricht. Jedoch kann es auch genau andersrum sein, gerade weil die Berechnung des eigenen Grundumsatzes (vor allem in der Schule) doch sehr oberflächlich ist. Dadurch kann dann, genauso ein unrealistisches Ernährungsbild entstehen, weil man eben nicht immer anhand von Zahlen nachvollziehen kann, warum man an einem Tag mal mehr Hunger hat, als an Anderen.
Die vorangegangene Aussage ist ein Zitat aus dem Biologielehrplan für Berlin- Brandenburg für die 7. und 8. Klassen. Weitere Schlagworte, die im Zuge des Themenabschnittes Ernährung erwähnt werden sind „gesunde Ernährung“ und „Essstörungen“. Das klingt erstmal ganz okay. Schließlich ist es einerseits wichtig zu thematisieren, „wie [man] eigentlich mit Leichtigkeit auch mal was gesundes schnabulieren [kann]“, wie es Herr Reinicke formuliert. Andererseits soll thematisiert werden wie schnell und mit welchen Auswirkungen Essstörungen entstehen können. Dies ist zumindest meine Interpretation der angeschnittenen Themen vom Lehrplan.
Kein (Lehr)Plan bei Essstörungen
In welchem Maß diese letztendlich behandelt werden, wird jedoch nicht weiter erläutert. Offen bleibt dabei, ob Themen wie die „Auslöser“ für Essstörungen, häufig auftreten oder Wie man mit einer eigenen Erkrankung oder der von Freund*innen umgehen kann. Auch wenn einige Lehrer*innen diese Themen umfangreich und angemessen behandeln, gibt es eben eine Lücke im Lehrplan. Auf unsere Frage in welchem rahmen Essstörungen im Bio-Unterricht behandelt werden soll, erwidert Herr Reinicke: „Es soll thematisiert werden [und] hängt auch ein bisschen vom Lehrer ab.“ Diese ungenaue Formulierung der Thematik findet sich auch im Biologie-Lehrplan wieder.
Die Seele lässt sich nicht messen und eine Essstörung ist keine Insta-Sucht
Das heißt, es ist klar: Man soll im Unterricht über den BMI, den persönlichen Grundumsatz, gesunde Ernährung und eben Essstörungen reden.
Was dabei ebenfalls nicht beachtet wird ist die Komplexität der Krankheiten. Natürlich vergleichen wir uns permanent mit unrealistischen Körperbildern und bekommen durch Social Media immer gerade solche unrealistischen Bilder gezeigt.
Als wir mit Herr Reinicke über dieses Thema reden, entsteht das Gefühl, als würde er uns belehren wollen stellen wir uns die Frage, welche Rolle Social Media bei der Entwicklung von Essstörungen wirklich spielt. In unserer Gesellschaft und eben auch im Bio-Unterricht, entsteht das Bild, das sie ein Konstrukt von Social Media, der Modebranche und der Pubertät sind.
Allerdings sind die eigentlichen Auslöser für die Entwicklung einer Essstörung viel komplexer und vor allem diverser. Sie sind eine psychische Krankheit, bei der selbst spezialisierte Psycholog*innen und Betroffene Schwierigkeiten haben eindeutig zu bestimmen, warum man eine Essstörung entwickelt hat. Zu häufigen Teilauslösern zählen jedoch auch der Wunsch nach Kontrolle, traumatische Erlebnisse oder familiäre Probleme sein. Es gibt verschiedene Studien, unter anderem des Robert Koch Instituts, die die Gründe für Essstörungen erforschen.
Das zeigt, dass sie nicht nur ein einfaches Konstrukt von dem Streben nach dem perfekten Körper sein können. Jedoch können äußere Einflüsse, wie eben auch das Streben nach einem bestimmten BMI oder der Vergleich seiner Ernährung mit seinem Grundumsatz eine Entwicklung einer Essstörung begünstigen. Besonders wenn die Gefahren, die durch dieses Streben, nach gesunder „guter“ Ernährung entstehen, unzureichend thematisiert werden, kann es zu der Entwicklung einer Essstörung kommen.
Der Unsinn der Perfektion
Deshalb denke ich, es ist einerseits unsensibel und beinahe fahrlässig, die Thematisierung von Ernährung und Essstörungen so unklar in den Lehrplan aufzunehmen. Zumal sich auch die Frage stellt, ob es angesichts der Situation, dass laut dem RKI etwa jede*r 5. im Alter von 11-17 essgestörtes Verhalten aufweist, angemessen ist, im Bio-Unterricht jenes Bild von einem gesunden, perfekten Körper zu vermitteln. Indem man lehrt, seine Ernährung mit Zahlen zu vergleichen und zu Überprüfen.
Herr Reinicke erwähnte, dass gerade deshalb auch wichtig ist zu vermitteln „was [es eigentlich heißt], mit mir selber zufrieden zu sein?“ Diesen Denkanstoß finde ich eine schöne Zusammenfassung dessen, was mehr im Unterricht behandelt werden sollte. Nämlich, wie sich gesunde Ernährung und Zufriedenheit durch und mit der eigenen Ernährung, sowie dem eigenen Körper, vereinen lassen.
Janne Köder, 9d